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Tennental-Blog   21. Juni 2020

Eindrücke über das Leben und Arbeiten in der Dorfgemeinschaft Tennental in Pandemiezeiten

Dieser Text ist erschienen im „Rundbrief soziale Landwirtschaft“ (www.soziale-landwirtschaft.de) und wir möchten ihn euch auf gar keinen Fall vorenthalten.

Von Corinna Vogg (Studentin der Ökol. Agrarwissenschaft in Witzenhausen und derzeit Praktikantin in der Dorfgemeinschaft Tennental (südlich von Stuttgart)

Donnerstag, 14.05.20. Haben Sie schon mal etwas von Carola gehört? Sie ist überall. Carola, Corona, manchmal auch Corinna. Das Gesprächsthema Nummer 1, von welchem scheinbar alle schon zu viel haben, aber dennoch nicht genug kriegen können. Auch hier im Tennental hat sich das Leben der gesamten   Dorfgemeinschaft verändert. In dem Dorf leben Menschen mit und ohne Assistenzbedarf mit- und nebeneinander, selbständig oder in Form von betreuten Wohngemeinschaften. In der anthroposophischen sozial-therapeutischen Gemeinschaft gliedert sich der demeter-Landbau ein, der Martinshof und die Gärtnerei. Diese sind Werkstätten im Dorf neben vielen anderen wie beispielsweise der Metallwerkstatt, der Bäckerei oder Käserei. Hier wollte ich planmäßig ab Ende Februar während meiner Semesterferien zwei Mo- nate lang ein Praktikum in der Sozialen Landwirtschaft machen, bevor ich dann auf das Ende meines Bachelorstudiums Ökologische Agrarwissenschaften an der Uni Kassel / Witzenhausen zusteuern sollte. Doch aufgrund des vorherrschenden Ausnahmezustandes findet die Uni derzeit nur online statt und so konnte ich mein Praktikum verlängern und weitere praktische Erfahrungen in der Gärtnerei sammeln.

Für mich schien Corona zunächst so fern, als würden mich die Auswirkungen niemals persönlich treffen, doch es kam alles sehr schnell und ein ebenso schnelles Verschwinden scheint noch nicht bevorzustehen.

Mitte März begannen die Veränderungen aufgrund der Verordnungen durch die Landesregierung von Baden-Württemberg. Die Spielplätze auf dem Dorfgelände wurden abgesperrt. Der Jungpflanzenverkauf begann und viele Menschen kamen von extern, um frische Pflänzchen für den Garten zu erwerben, für den sie ja jetzt auf einmal viel Zeit aufwenden konnten. Überschwängliche Begrüßungen der Menschen mit Assistenzbedarf wurden schweren Herzens abgelehnt und auf den Mindestabstand hingewiesen.

Dann eine weitere Neuerung: Der Dorfladen sollte von nun an für alle Dorfbewohnenden nur noch vormittags geöffnet sein, ab 10:00 Uhr dann für Kund*innen von extern, um das Dorf vor möglichen Infektionen von außerhalb zu schützen. Ein Besuchsverbot wurde im gesamten Dorf eingeführt, Menschen mit Assistenzbedarf, die von außerhalb kamen, waren von der Arbeit befreit.

Am 23. März wurden die Werkstätten dann komplett geschlossen, von der Astholzwerkstatt bis zur Landwirtschaft. Es sollte nicht mehr nur das Dorf von potentiellen Außeninfektionen isoliert werden, sondern auch die einzelnen Wohngemeinschaften voneinander separiert sein. In den Werkstätten arbeiten normalerweise Bewohner*innen aller Häuser bunt durchmischt miteinander. Im Falle einer Infektion könnte sich diese schneller als ein Lauffeuer im Dorf verbreiten, durch die Werkstattschließung sollte dies unterbunden werden. Heilerziehungspfleger*innen in den Häusern werden seither auf die Belastungsprobe gestellt, denn die Menschen mit Assistenzbedarf verbringen nun den gesamten Tag in den Wohngemeinschaften, was das ohnehin schon stark eingespannte Pflegepersonal nun noch mehr fordert. Ihnen gebührt großer Respekt und Dankbarkeit für ihre Arbeit. Auch die Gärtnerei war von der Werkstattschließung stark betroffen, denn nun, da es Frühjahr wurde, die ersten jungen Blätter und Knospen zu schieben begannen, fielen immer mehr händische Arbeiten an, bei welchen die Menschen mit Assistenzbedarf eine große Hilfe darstellen.

Zwar wurde die Halle immer leerer, das Lagergemüse verschwand langsam aber sicher aus den Kühlräumen, dafür begannen die Aussaaten, Kompost wurde verteilt, Gewächshauskulturen gepflanzt, gepflegt, gehackt, Mulch verteilt und auch im Freiland wurden viele Stunden auf der Pflanzmaschine verbracht, die Kulturen gehackt, bewässert, Jungpflanzen von oben nach unten und von unten nach oben transportiert und noch vieles mehr.

Die erste Zeit ohne Menschen mit Assistenzbedarf und Begleitungsaufgaben im gärtnerischen Alltag fühlte sich merkwürdig an, als würde etwas bedauerlicherweise fehlen, nachdem ich mich an das Arbeiten mit all den lieben Menschen gewöhnt hatte und sie ins Herz geschlossen hatte. Mit der Zeit pendelte sich unser Arbeitsalltag ein, mit immer denselben Menschen umeinander, mit viel Arbeit, viel schöner Arbeit und guter Stimmung, die mich dazu bewogen, länger Zeit in der Gärtnerei und im Tennental zu bleiben. Alltag suggeriert Normalität, derlei Einschränkungen durch Ausgangsbeschränkungen, wie sie in den Städten stattfinden, bekam ich nicht zu spüren. Erst, wenn sich etwas nicht ganz richtig anfühlte, ein Kratzen im Hals, ein besonders schlapper erschöpfter Tag, löste es ein mulmiges Gefühl in mir aus.

Trotz der sozialen Distanzierung des Landbaus von den Menschen mit Assistenzbedarf vernahm ich eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls innerhalb des Dorfes. Wo es auch ging, wurden Netzwerke zwischen den Häusern und den Werkstätten geknüpft. Aufbauende Nachrichten und Plätzchen verstreuten sich von der Bäckerei übers Dorf. Weiterhin wurden Aussaaten von Menschen mit Assistenzbedarf von Zuhause aus übernommen, Kresseschächtele im Vorgarten der Wohngemeinschaften gefaltet und in der Mittagspause zur Gärtnerei gebracht, wenn gerade niemand da war.

Schon nach einigen Wochen kamen zudem drei Menschen mit Assistenzbedarf zuerst nachmittags, dann den ganzen Tag wieder in die Gärtnerei. Da sie zum Teil aus verschiedenen Wohngemeinschaften kamen, musste die Aufgaben so verteilt werden, dass sie an verschiedenen Orten arbeiteten. Sie waren eine große Hilfe beim Jungpflanzentransport, beim Verteilen von Mulchmaterial, beim Topfen und Stäbeln, versprühten Energie und Freude und auch wenn sie ihre eigenen Arbeiten hatten, konnte man stets anhalten und miteinander plaudern.

Diese Woche kehrten die externen Menschen mit Assistenzbedarf wieder in die Werkstätten zurück, zudem eine Hausgruppe und die Arbeitserzieherinnen, die zuvor in die Hausbetreuung eingeteilt wurden. Auch das stellt nun wieder eine Umstellung dar, denn Geduld, Gesprächigkeit und Aufgabeneinteilung hatten sich im Arbeitsalltag der letzten Wochen an die verbliebenen Menschen angepasst. Doch es ist ein gutes Gefühl, als würde sich die Situation ganz langsam an Normalität annähern, und zu verspüren, dass das gemeinsame sinnhafte Arbeiten allen Freude und Zufriedenheit bereitet. So habe ich das Gefühl, dass in dieser Krisenzeit viel Anstrengung geleistet wird, Strukturen aufrecht zu erhalten trotz erheblicher Änderungen und Einschränkungen und dennoch allen Menschen das Gefühl zu vermitteln, für sie da zu sein. Zu erleben, wie diese Gratwanderung gemeistert wird, ständig an sich ändernde Einflüsse angepasst wird, beeindruckt mich. Auch jetzt bleibt die Gemeinschaft vernetzt, noch immer wächst eine Schlange aus bunt bemalten Steinen, die sich durchs gesamte Dorf zieht und die Menschen und Häuser nicht nur symbolisch verbindet. Denn jede*r Einzelne trägt einen Teil zum Miteinander im Dorfleben bei. Begegnungen bei Spaziergängen werden mit viel Freude aus der Entfernung bekundet in der Hoffnung, dass bald wieder Normalität einkehren wird.